Gedanken zu 173 Kathedralen für die Welt

Von Mladen Kunstic

Jeder Glaube ist gut, wenn er mit den demokratischen Menschenrechten vereinbar ist…

Seit einem persönlich mystischen Erlebnis im Aachener Dom im Februar 2006, beschäftige ich mich künstlerisch mit dem Thema Kathedralen als unsere Heiligen Räume.
Zuerst malte ich die Aachener Kathedrale um dieses Erlebnis zu verarbeiten. Krankheit und Verzweiflung prägten diese Zeit und ich tat das was ich immer tat … ich malte… Viele Künstler verarbeiten ihre innere Zerrissenheit und ihre Suche nach Wahrheit mittels ihrer Malerei. So malte ich viele Kathedralen, las und studierte viele Bücher, kämpfte mit dem Text der Bibel und dem jüdisch / christlichen Gottesbild…malte gegen die Interpretation eines Gottes der Erbsünde, der Schuld und Vergeltung…ich malte dagegen an, dass mein Leiden und meine Verzweiflung eine Form von Wiedergutmachung an Gott waren, wie ich es seit meiner Kindheit und in der Bibel gelernt hatte…und widmete jedes meiner Bilder Gott, als wenn ich ihn milde stimmen wollte. Ein naives Denken und Handeln, nur zu verstehen, wenn man sich der suggestiven und fundamentalen Kraft der Psychologie der christlichen Bilder und der architektonischen Macht in allen Kathedralen der Welt bewusst wird. Auch in den Kathedralen anderer Konfessionen.

Das Projekt „173 Kathedralen für die Welt ist als „Work in Progress“ angelegt und hier möchte ich auf den Vorwurf Vieler: „Mladen Kunstic du bist ein Vasall der Katholischen Kirche…“ eingehen.

Ich war niemals ein Vasall von Niemandem…ich bin ein tief freiheitsliebender Künstler und Mensch. Mich als Diener und Befürworter der Katholischen oder Evangelischen Kirche zu bezeichnen, ist eine himmelschreiende Beleidigung meiner Gefühle und meines Verstandes.

Wie kann ein denkender und aufgeklärter Mensch an ein „Böses politisches Märchen“ glauben? Für ein Teufliches Gebilde arbeiten, das uns schon fast 2000 Jahre Unglück, Folter, Gewalt und Unmenschlichkeit gebracht hat…Ein Märchen, schlimmer als alles von den Brüdern Grimm; ein böses Märchen von Paulus, Petrus und Anderen um aus einer Sekte eine politische und ökonomische Kraft zu erschaffen…aus einem göttlich beauftragten Prediger, Propheten und Erneuerer den „Sohn Gottes“ zu machen…! Uns eine unbefleckte Geburt, Auferstehung und Auffahren in den Himmel aufzuschwatzen. Die wertvolle Botschaft von Jesus Christus uns als Lockmittel vorhalten; uns Liebe Predigen, aber selbst das Böse tun um die eigene Macht zu erhalten und Geldgier um diese Macht zu untermauern. Alles Schlimme und Unmenschliche haben nicht die Römer oder Andere erfunden, sondern die Katholische Kirche. Hier sei nur auf die „Hexenverbrennungen“ hingewiesen. Paulus, der Jesus Christus nie persönlich begegnet ist, hat mit Anderen die „Hure Babylon“ erschaffen, so wie es bei „die Offenbarungen von Johannes“ steht.

Paulus, Petrus und Andere haben die „Dreieinigkeit“ Gottes erfunden…Gott Vater, Jesus Christus und der Heilige Geist. Welch eine Beleidigung Gottes…! Gott selbst sagte im „alten Testament“ „Du sollst keine anderen Götter neben mir haben und anbeten“!

Dieses böse „Männer Gebilde“ ist als Unterdrückungs und Kontroll Instrument geschaffen worden, um den Menschen zu beherrschen und die Frauen weiter zu versklaven. „Sie soll dem Manne dienen und ihm untertan sein“ und nicht wie in der Botschaft von Jesus Christus frei und gleichberechtigt sein. Andere Konfessionen wie der Islam, die evangelische Kirche und „Andere Auslegungen“ der Katholischen Kirche übereinstimmen mit diesem Frauenbild…!

„Wieso malst du dann, Mladen Kunstic die Symbole dieser Kirche“?

Ja, es sind die Symbole einer Kirche, die Menschen verführt; einer Kirche voller Verführer, Betrüger, Fälscher und Brutalster Kräfte…und dennoch sind es „Gebäude“ in die Menschen ihre Sorgen, ihre Wünsche, ihre Anliegen, ihre Liebe und ihren Glauben getragen haben. Jede Bitte ihres Lebens steckt in diesen Gebäuden; in diesem „Raum“ den ich heiligen Raum nenne, weil er von den Menschen geheiligt wurde, stecken alle ihre Sorgen, ihre Wünsche, ihre Anliegen, ihre Liebe, ihr Glauben und alle Bitten und Sehnsüchte. Diese Verführten haben in ihrer Naivität und Kindlichkeit und so, nur so sollen wir vor Gott treten, haben mit ihren Seelen und ihren glaubenden Herzen diesen Raum und dieses Gebäude geheiligt…dieser Raum ist eins geworden mit diesen Menschen…dieser Raum sind die Menschen.! Auch ich war/bin ein Teil dieses Raumes…auch ich war ein Verführter.

Dieses Kunstprojekt hat mir die Augen und den Verstand geöffnet…mittlerweile glaube ich daran, dass ich mit dem mystischen Erlebnis in der Aachener Kathedrale eine Hinführung zu dem Menschen und Künstler erfahren habe, der ich heute bin. Ein Mensch der „seinen“ wahren Glauben gefunden hat…ich glaube an „den einen Gott“ der im Alten Testament ist. Ich glaube an den veränderbaren Gott wie ihn die Propheten und vor allem der größte unter ihnen „Jesus Christus“ uns aufgezeigt haben…aus „Auge um Auge“ wurde „du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ und Vergebung ist unsere Pflicht.

Durch Jesus Christus sagt uns Gott „Ich Jahwe, dein Gott, liebe dich…“

Und ich sage euch als alter Mensch und Künstler, wer sehen und lesen kann und denken will, der tue es… geschrieben 2024…eben ein „Work in Progress“

Ein Künstler entwickelt, verwirft und ringt um neue Entscheidungen und Lebenssysteme…ein Suchen und Finden eines neuen Lebensweges, einer neuen Lebensphilosophie, die aber nicht von der Geschichte abgekoppelt sein durfte, sondern sie neu und anders interpretieren sollte.
Ich wollte nicht Neues suchen, ich wollte das mir Unbekannte finden…denn ich wusste alles ist da und ich wusste es würde ein langer und Ergebnisoffener Weg sein. Daher legte ich das Kunstprojekt von Anfang an als „ Work in Progress „ an, mit einem offenen inhaltlichen und zeitlichen Ende.
Nach diesem ersten emotionalen und befreienden Arbeitsbeginn, musste ich meine Professionalität als Künstler in Arbeitsstrukturen gliedern und fokussieren… Wie dieses Thema zum Ausdruck bringen?
Als erstes beschränkte ich mich auf die äußere Architektur der Kathedralen, weil ich erkannte, dass der Innenraum ein so gewaltig emotional aufgeladener „Heiliger Raum“ ist, der alle Ausdrucksmöglichkeiten sprengte. Niemand kann all die Gebete, die Wünsche, die Sorgen und all das menschliche Leid welches in jedem Innenraum einer Kathedrale vorhanden ist wie eine unsichtbare Patina, mit dem Mittel der Malerei ausdrücken.
Architektur ist Ausdruck von Pracht, von Macht und Machtanspruch, voll von menschlicher Eitelkeit…Architektur ist auch Ästhetik und Ausdruck des Denkens und der Evolution des Denkens. Architektur ist sichtbare Geschichte und sichtbare gemeinsame Kultur.
Somit wird die gemeinsame Europäische Kultur sichtbar in der Architektur und dem Geist der Kathedralen. Dies ist mir schon vor vielen Jahren aufgefallen, als ich durch Reisen in Frankreich, Kroatien, England und Deutschland die Gemeinsamkeiten der Romanischen und Gotischen Architektur erkannt habe. Diese und andere gemeinsame Wurzeln führten dann Gott sei Dank zu unserem jetzigen Europa.
Diese kulturgeschichtlichen Gemeinsamkeiten und der weise Satz des jüdischen Kirchen Gelehrten und Sprachforschers Pinchas Lapide,“ Wer der Form den Inhalt entreißt, der Entzweit ein Ganzes “, führten dazu, dass ich auch Kathedralen aus anderen Ländern Europas in meine Bilder aufnahm. Unter anderem einige Kathedralen aus Frankreich, wie Notre Dame aus Paris, Kathedrale aus Reims, Notre Dame aus Bordeaux, Sacre Coeur aus Paris. Aus Deutschland den Kölner Dom und einige Kathedralen aus Kroatien wie die Kathedrale aus Sibenik und Split…Kathedralen aus anderen Ländern der Welt werden noch folgen.
Den Geist der Kathedralen zu erfassen, ohne geschichtliche, ohne gesellschaftliche, ohne naturwissenschaftliche und ohne konfessionelle Zusammenhänge ist unmöglich.
Somit studierte ich Geschichte ( besonders die Europäische ), ich studierte die drei Schriftreligionen, Judentum, Christentum und den Islam und natürlich Buddhismus und Andere. Ich studierte die Entwicklung des Papsttums und ihre Auswirkungen auf die konfessionellen, gesellschaftlichen und politischen Machtstrukturen. Ich las viel über die Geschichte der Demokratie und die Säkularisierung. Hier war Frankreich Vorreiter für die Welt. Wichtig war auch die Geschichte der Naturwissenschaften, um die Zusammenhänge von Klima und Wohlstand auf die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen zu erkennen. Hungersnöte, Ungerechtigkeit, die Erfindung des Buchdrucks und Kriege führten zur Evolution des Denkens und letztendlich zu demokratischen Veränderungen.
Neben dem zentralen Bildthema Kathedralen, sind gleichberechtigt alle menschlichen Thematiken und Realitäten ein wichtiger Bestandteil meiner Bilder. Dazu bediene ich mich neben der Zeichnung und Malerei auch der Collage als Untergrundgestaltung und Zitaten aus der Kunstgeschichte oder Realität.
Meine Leinwände beklebe ich mit Buchseiten und Fotos als Zeichen des Spiegelbildes der Realität. Dadurch entsteht ein Maluntergrund für meine neue malerische Realität, in der Bilder, Bücher und Fotographien mein Denken und Wünschen bestimmen. Auf diesen Lebenscollagen male ich dann meine Bilder. Ich habe auch einige Grafikzitate des französischen Künstlers Paul Gavarni in meine Bilder aufgenommen. Dieser Ausnahmekünstler aus dem 19. Jahrhundert, hat wie kein Anderer die Realität in ihrer sozialen und psychologischen Dimension zu Papier gebracht.
Die bildhafte Untersuchung, ob äußere Darstellungen von Kathedralen und meine künstlerisch gestalteten Umgebungsräume auf innere Befindlichkeiten des Menschen schließen lassen, ist für mich ein kreatives Spannungsfeld zu meiner eigenen Suche nach geistig mystischen Fundamenten. In diesem Zusammenhang interessiert mich der Ausdruck elementarer menschlicher Gefühle wie Tragik, Hoffnung und Liebe.
Diese komplexen Emotionen und Gedanken lassen sich für mich am eindringlichsten durch beseelte Farbigkeit und sichtbare klare Linien ausdrücken. Farbigkeit als Lebenspartitur, als starke Emotion, als Lebensmusik, die neben den Farben des Farbkreises auch die Zwischentöne von Collagen mit ihren Fotografien und Texten spielt. Farbe als expressives und suggestives Element des Lebens, Ausdruck der Wärme, Kälte, Liebe, Verzweiflung, Hoffnung und ewiger Sehnsucht des Menschen nach dem Guten, dem Gerechten und der Freiheit…
Die Linie ist für mich die Kalligraphie der Vernetzung allen Seins. Umrisslinien als Beginn des Lebens in einem Prozess des Findens und damit losgelöst vom Ende des Lebens, welches für mich unendlich ist. Linie als Umriss eines ewigen Kraftfeldes.
Ein anderer und besonderer Aspekt meines Kunstprojektes ist die Beschäftigung mit dem Thema Freiheit. Freiheit als Grundlage der Selbstbestimmung und Würde des Menschen. Die dadurch erfolgte positive Trennung von Staat und Religion, die wir in unserem Europa verwirklicht haben und auf die wir in noch vielen Islamischen Ländern warten. Die Freiheit wird auch in diesen Ländern Einzug halten und darum ist es für mich jetzt schon wichtig, auch Kathedralen des Islams in meine Bilder aufzunehmen, wie die Al Axa Moschee in Jerusalem, um auf eine erfolgreiche Fortsetzung dieses freiheitlichen Prozesses hinzuweisen.
Die Geschichte gibt mir Recht, wie wir an der Entwicklung in diesem Jahr in Ägypten, Tunesien, Lybien und in anderen arabisch islamischen Staaten sehen.
Ich denke, das auch Kathedralen des jüdischen Glaubens, des Buddhismus und noch anderer kleinerer Konfessionen in meine Bilder Einzug nehmen werden.

Das Thema Kathedralen als unsere heiligen Räume beinhaltet selbstverständlich die Frage nach Gott als Hoffnung und Lebensordnung. Diese Frage wird für viele Menschen immer wichtiger, da die materiell immer schwierigere und ungerechtere Lebenssituation sie vor physische und psychische Grenzen stellt, die zum in Frage stellen des eigenen Lebens und zur Lebens Sinn Frage führen. Die Menschen fühlen sich oft von der Politik und auch den verschiedenen Konfessionen alleingelassen mit ihren Problemen und Sorgen. Die Politik hat uns in den letzten Jahren in eine Globalisierung gedrängt, bei der die Menschenwürde fast gänzlich verloren gegangen ist und die Religionen dieser Welt können auch keine klaren Antworten geben, da ihnen ihr Macht und Einflusserhalt oft wichtiger ist als das Diesseits und die Menschen.
Wer sich seines Glaubens oder Nichtglaubens bewusst wird und sich die Freiheit seiner Denk und Gestaltungsmöglichkeiten vergegenwärtigt, bekommt einen neuen Ansatzpunkt für seine Lebensgestaltung.
Ich erkannte durch mein Studium der Bibel, ihrer konformen und non konformen Auslegungen, durch die Beschäftigung mit anderen Konfessionen, das es nur einen Gott für mich gibt…Gott als einziger Gott aller Menschen, Gott aller Konfessionen und sichtbar in allen Kathedralen der Welt.
Ich bin auf dem Weg nach Hause…Ein zu Hause voller Liebe, ohne Erbsünde, ohne Schuldbegleichung, ohne Verdammnis und ein zu Hause das nur auf Liebe baut. Und ich bin überzeugt, dieser Gott liebt die Demokratie genauso wie ich und ist genauso ein glühender Befürworter Europas wie ich…
Ein lebendiger Prozess des subjektiven Werdens, der zur Erkenntnis führen kann, dass jeder von uns eine Kathedrale und somit heiliger Raum ist. Durch unser gemeinsames Wollen und Handeln gestalten wir den „Heiligen Raum“ in uns selbst, als auch außerhalb von uns. Somit strahlt der von uns selbst gestaltete heilige Raum der Kathedralen, als sichtbare Äußerlichkeit aus ihnen heraus zu uns Menschen und wir können den Weg der gemeinsamen positiven Geschichte weitergehen.

Wer keine Visionen mehr hat, ist wie ein Vogel ohne Stimme…. meine Bilder sind meine Stimme …

Mladen Kunstic



PS
Ich möchte später, wenn ich glaube das Kunstprojekt ist abgeschlossen, aus all den vielen Hundert Kathedralen Bildern 173 zusammen fassen, in einem Katalog dokumentieren und als Wanderausstellung in vielen Ländern ausstellen.
Viele haben mich gefragt warum 173 Kathedralen der Welt? Hier meine momentane Erklärung...
Die 1 steht für die Einheit des Menschen…das Eins sein von Seele, Körper, Herz und Geist…
zugleich steht die 1 auch gleichberechtigt für die Einheit Gottes mit dem Menschen.
Die 7 ist der siebte Tag der Schöpfung. Der Sonntag…ein Tag der Freiheit und Ruhe, ein Tag des Denkens und der Kontemplation…
Die 3 steht für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit …
Die Summe 1+7= 8 steht für die Unendlichkeit…
Die Summe 1+7+3= 11 steht für mich…als Sportler in jungen Jahren hatte ich immer diese Rückennummer...
Die Summe 7+3= 1 0 steht für das Zeitalter des Computers…
Die Summe 1+3= 4 steht für die vier Elemente, Wasser, Feuer, Erde und Luft…

Mladen Kunstic
173 Dom Variationen

Dr. Christine Vogt Kunsthistorikerin

Wenn es nur eine Wahrheit gäbe, könnte man nicht hundert Bilder über dasselbe Thema malen (Pablo Picasso). Diese Weisheit scheint sich in besonderer Form in den Dom-Variationen von Mladen Kunstic wiederzuspiegeln. Er hat sich die Aufgabe gestellt, 173 Variationen über ein Gebäude, einen heiligen Ort zu malen. Für Kunstic eine künstlerische wie persönliche Herausforderung.
Seit einem sehr persönlichen Schlüsselerlebnis im Aachener Kaiserdom im Frühjahr 2006 fesselt ihn der Dom zu Aachen so sehr, dass er mit Leidenschaft und Begeisterung daran geht, immer neue Ansichten und Wahrnehmungen des historischen Bauwerks auszuarbeiten.
Es ist eine Work-in-progress-Situation, die eine besondere Form von Zeitlichkeit impliziert, in der Kunstic Bild für Bild als Teile eines großen Ganzen gestaltet. Bisher sind 55 der 173 Dom-Variationen entstanden, die in dieser ersten Ausstellung das Projekt vorstellen und in die Besonderheiten der Kunstic’schen Malerei einführen.
Zu dem Entstehungsprozess des Gesamtwerkes, der von Kunstic auf etwa drei Jahre geschätzt wird, gehört für den Künstler auch erklärtermaßen der Prozess der Selbstwerdung, der selbst auferlegten Klausur in seinem Atelier, die Zeit der Anspannung und der Selbsterkenntnis. Diese persönlichen emotionalen Befindlichkeiten geben den Bildern besondere Energie und Ausstrahlung.
Begleitend zum Malprozess setzt sich Kunstic mit vielfältigen Fragestellungen intellektuell auseinander. Er beschäftigt sich nicht nur mit der Geschichte jener Zeit, mit der deutschen und europäischen Geschichte, mit der Geistesphilosophie sondern auch mit theologischen Fragen. Die gewonnenen Einsichten und Erkenntnisse werden mittels Farbe, Formen und Linien auf die Leinwand transformiert, ein vielschichtiger Prozess, der in die Entstehung der Bilder greift. Die dreijährige Work-in-progress-Situation wird die Unterschiede und Spannungsverhältnisse zwischen den ersten und letzten Bildern aufzeigen.
Der Aachener Dom in seinem heutigen Erscheinungsbild, bildet die Grundlage für Kunstics Variationen. Bei einigen Bildern sind es auch ältere Ansichten, die den Malereien zugrunde liegen. Es geht ihm dabei keineswegs um eine realistische bzw. historische Wiedergabe des Bauwerks. „Ich reflektiere nicht, was ich sehe, sondern in einem Prozess des Aufspürens finde ich etwas, was bis dahin für mich im Dunkeln war“, erläutert der Künstler. Die Suche nach Mehrdimensionalität in seiner Kunst, in seinem Leben ist prägend für das Gehen eines eigenen Weges. So ist es kein Zufall, dass er sich nach wenigen Jahren Beschäftigung mit der Malerei der Bildhauerei zuwandte, um die Dinge begreifen zu lernen. Klangskulpturen, die häufig im Einklang mit der Natur standen, bestimmten seine bildhauerische Tätigkeit. Häufig konnten die Betrachter selbst durch Berühren, durch Begreifen den Skulpturen ihre Klänge entlocken.
Nach seiner Wiederaufnahme der Malerei Mitte der 1990er Jahre entwickelte Kunstic nach langem Experimentieren eine eigene Maltechnik. Er wählte als Trägermaterial für seine Bilder eine Collage-Technik aus vorgefundenen Gegenständen der Alltags-kultur; mit Vorliebe Hochglanzbroschüren aus dem Bereich der Kunstwelt, aus Büchern und Printmedien, die er in einem Spezialverfahren auf Leinwand auftrug. „Für mich geht es in meiner Arbeit um universelle Dinge und so ist ein wesentlicher Leitgedanke meiner Kunst, die Idee, ein Bild von einem Bild, auf einem Bild zu malen, um so immer eine neue Distanz zur Wirklichkeit herzustellen“.
Die Komplexität des Ortes und seine Transzendenz entziehen sich in den Bildern der Wahrnehmung der Wirklichkeit. Gedanken, wie die der Zahlenmystik, die dem Gebäude Form und Ausdruck verleihen, finden sich auch in der Zahl 173. Der Aachener Domkapitular Erich Stephany betonte, dass die Klarheit des Dombaues auf Harmonie und Proportion und den „heiligen Zahlen“ beruhe. So kann die Eins für das Göttliche, die Sieben für die Schöpfungstage und Vollendung der Genesis, aber auch für die Sakramente und mehr stehen. Die Eins und Drei addieren sich zur Vier, die für die vier Evangelien stehen kann. Eins und Sieben verbinden sich zur Achtzahl des Oktogons, dem heiligen achtseitigen Raum Gottes. Während die Drei, durch den dreifaltigen Gott, wohl die christlichste aller Zahlen ist.
„Dinge, die ihren Wert über Jahrhunderte behalten, sind enorm wirkungsvoll“, erklärt Kunstic. Dass es sich bei dem Gebäude des Aachener Doms um ein einzigartiges Ensemble handelt, zeigt nicht nur die Aufnahme in die UNESCO-Liste als Weltkulturerbe. In Harmonie vereint der Dom zwei Bauformen, die in ihrem Ausdruck unterschiedlicher nicht sein könnten.
Dem karolingischen Oktogon mit seinen mächtigen Mauern, seiner zentralistischen Geschlossenheit, seinem unübersehbaren Herrschaftsanspruch, wurde später das hochgotische Glashaus angesetzt, ein nach Osten gerichteter transparenter Chorraum, der in seiner fragilen Leichtigkeit nicht feiner sein könnte. Karl der Große ließ den karolingischen Teil zu Ehren der Gottesmutter Maria erbauen und von italienischen Spezialisten auf das Feinste mit Bronze, Marmor und anderen Arbeiten ausschmücken. Er wählte diesen Ort als seine Grablege, die von späteren Generationen prunkvoll ausgestattet wurde. So hinterließ Karl nach seinem Tode der Stadt Aachen ein unsterbliches Vermächtnis: Seit 814 ist die Pfalzkapelle seine Grabeskirche, sie wurde so zum Kaiserdom. Seit dem 14. Jahrhundert umfängt der „Glasschrein“ des Bauwerks den Goldschrein des Kaisers. Viktor Gielen äußert sich zu Karl d.Gr. 1978 in seinem Buch „Im Banne des Kaiserdomes“ so: „Leuchtturm Europas“ hat man treffend Karl den Großen genannt, jenen Mann, der dem Abendland seine Gestalt gab. Wenn Jahr für Jahr so viele tausende Menschen zu seiner Grabeskirche pilgern, ist es nicht vor allem deshalb, weil sie in ihrem Unterbewusstsein die Sehnsucht hegen, nach allgemein verbindlichen Wertvorstellungen, nach einem christlichen Einheitsreich, wie Karl es anstrebte? Ist es nicht, weil sie etwas wie Heimweh verspüren, nach dem Gottesreich auf Erden, nach dem Reich des Friedens, Abbild und Vorbild des himmlichen Jerusalem, das Karl in seinem Dom darstellen wollte?“
In seiner typischen expressiven Formensprache öffnet Kunstic immer neue Blickwinkel auf das vermeintlich Bekannte. Häufig ist es die Kontur, die in Gelb, Rot, Schwarz oder Blau den Umriss der Domsilhouette markiert. Manchmal scheint es, als ob auf eine abstrakte Weltansicht die Kontur des Domes übertragen würde (Variation Nr.15, 20). Die Assoziationsmöglichkeiten sind zahlreich. Eine der Variationen (Nr.5) scheint selbst zum Goldschrein zu werden. Kunstics Bild erleuchtet nicht nur die Chorhalle, es lässt die gesamte Südansicht als Goldschrein erstehen. Dieses Bild transformiert den Gedanken der Kostbarkeit, des Glanzes und des Lichtes.
So erstrahlt der Dom, von innen beleuchtet, in festlichem Licht (Variation Nr.12). Die aus den Fenstern herausspringenden expressiven, gelben und orangenen Farblinien lassen auch an Feuer und Brand denken. Zwar wurde der Aachener Dom von all diesen Gefahren über die Jahrhunderte hinweg verschont, doch verbindet jeder Aachener mit dem großen Stadtbrand von 1656 die Vernichtung der mittelalterlichen Bebauung der Aachener Innenstadt (bis auf Dom und Rathaus). Ebenso bei den Bombardements im Zweiten Weltkrieg, wo allein der Dom – wie durch ein Wunder, ohne größere Schäden bzw. Zerstörung überdauert hat.
Historische und christliche Inhalte binden sich an dieses Gebäude; die Menschen bestaunen dieses Bauwerk, diese Kirche, die aus tiefem Glauben entstanden ist und gleichzeitig christliche, karolingische und deutsche Machtgeschichte aufzeigt.
„Die europäische Geschichte liefert den schlagenden Beweis dafür, was für eine entscheidende Rolle die Ideen im Schicksal der Menschen spielen (…) Keine politische und keine militärische Macht, sondern die von der Kirche ausgehende geistige Kraft verlieh Europa seine Stärke,“ sagte Leo Tindemans, belgischer Premierminister, bei der Verleihung des internationalen Karlspreises in Aachen 1976.
Das Unsichtbare sichtbar machen
Die Fantasie, die Intuition sind für Kunstic das zentrale Moment bei seinen Variationen. Unzählige Menschen haben in über zwölf Jahrhunderten diesen Ort besucht, das Gebäude wahrgenommen, in ihm gebetet und ihre Bitten als Hoffnung in Bilder und Ideen gekleidet. Die entstehenden 173 Dom Variationen sind eine kleine Schöpfung und Annäherung an diese vielen Bilder. Eine von Kunstic auferlegte Beschränkung in der Zahl und Machbarkeit.
Das 173 Bilder Unsichtbares sichtbar machen können, ist fraglich. Doch geben sie eine Grundlage für neue Einsichten und können zugleich ein Spiegel für die Gedankenbilder des Betrachters sein. Gerade in der heutigen säkularisierten Gesellschaft bedarf es Anregungen, in der Verweltlichung Zeit und Raum zu schaffen für Sinn suchende, auch mystische Erlebnisse. Kunstics Bilder reichen über den realen Raum hinaus, hinein in etwas Imaginäres. Sie bieten die Möglichkeit des Eintauchens in sich selbst und in geheimnisvolle und magische (Innen-)Welten. Die Bilder zeigen keineswegs nur den Außenraum. Im Gegenteil, über das Außen des Domes wird etwas über sein Inneres ausgesagt.Das Äußere spiegelt Inneres.
Mladen Kunstic sieht Aachen als zentralen Ort in der Werdung Europas. So soll von Aachen aus das Ausstellungsprojekt in verschiedene europäische Länder reisen. Der Aachener Kaiserdom und seine 173 Variationen könnten so zum Sinnbild des einigen und friedlichen Europa werden.
Dr. Christine Vogt